Theoretischer Auszug aus meiner Bachelorarbeit zum Thema Motorikförderung mit dem Pferd:

Die heilende Wirkung der dreidimensionalen Bewegungsübertragung durch das Reiten

Die Gangart Schritt des Pferdes bildet die Basis für die therapeutische Arbeit. Den daraus entstehenden dreidimensionalen Bewegungsimpulsen wird eine vielseitig heilnde Wirkung auf Körper und Seele zugesprochen (vgl. z.B. Vernooij, 2008, S. 199). Die dreidimensionalen rhythmischen Schwingungen, die in der Gangart Schritt vom Pferderücken ausgehen, werden in einer Frequenz von 90- 110 pro Minute auf den Klienten bzw. Reiter übertragen. "Sie ermöglichen eine gezielte Regulierung des Muskeltonus und ein gezieltes Training der Haltungs-, Gleichgewichts- und Stützreaktionen" (Otterstedt, 2001, S. 152). Zusätzlich werden Zentrifugal-, Beschleunigungs- und Bremskräfte genutzt, die aus dem Vor- und Seitwärtsgang des Pferdes entstehen, um die Sensomotorik und die Koordination zu fördern (vgl. Vernooij, 2008, S. 199).

 

Das Pferd wird zum Partner, indem der Körperrhythmus auf den Reiter übertragen wird. Dabei wird durch die Bewegungen und die Wärme der Gefühlsbereich angesprochen. "Das Gleichgewichtsempfinden wird gefördert und Verkrampfungen seelischer wie auch körperlicher Art können sich lösen. Dadurch, dass das Pferd nicht nur seinen Körper anbietet, sondern zusätzlich mit all seinen Ausdrucksformen wie Körperhaltung, Mimik und Stimmäußerungen beteiligt ist, fordert es direkt zur emotionalen und verbalen Kontaktaufnahme und Auseinandersetzung heraus. Dadurch kann sich das Körperbewusstsein als eine Grundform des Selbstbewusstseins entwickeln." (Gäng, 2004, S. 164). Das Reagieren auf die vom Pferd gesendeten Bewegungsimpulse und Bewegungsreize ermöglicht eine "gezielte Regulierung des Muskeltonus, die Mobilisation der Gelenke mit Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit, das Trainieren der Haltungs-, Gleichgewichts- und Stützreaktionen sowie die Förderung der Sensomotorik, der Raumorientierung sowie der Körper- und Sinneskoordination" (Vernooij, 2008, S. 199 f.).

 

Die rhythmische dreidimensionale Bewegung des Pferderückens in der Gangart Schritt fordern vom Reiter gangarttypische Reaktionen in seinem Rumpf. Daraus resultieren laut Gäng (2009) folgende motorische Ziele: "Tonusnormalisierung in Rumpf und unteren Extremitäten", "Förderung der selektiven Kraft in der Muskulatur der Wirbelsäule und der Hüftgelenke", "Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit in der Lendenwirbelsäule und im Hüftgelenk", "Erhaltung, Förderung und Provokation von Haltungsreaktionen", "Veresserung der Symmetrie und der Gleichgewichtsreaktionen im Sitz", "Erfahren von Rhythmus" und "Lockerung überlastungsbedingter Rückenschmerzen" (Gäng, 2009, S. 96).

 

Die spezielle Gangart des Pferdes hilft dem Reiter eine äußere und innere Balance herzustellen, sein Gleichgewicht zu finden und seine Muskeln werden auf einzigartige Weise bewegt und entspannt. Otterstedt (2001) sieht in der Gangart außerdem eine unterstützende Wirkung für die Erhaltung der Beweglichkeit und Balance, für die Förderung einer tiefen Atmung und die Anregung der Durchblutung (vgl. Otterstedt, 2001, S. 155). Mit seiner Bewegung erzeugt das Pferd einen Stimulus des vestibulären Systems. Die rhythmisch sich wiederholenden Bewegungen, die jedoch nicht gleichbleibend sind, fordern dem Reiter ständige Anpassungsreaktionen ab, wobei die Reizintensität durch Tempo, Gangart, Stellung auf dem Pferd, Richtungswechsel, etc. variiert werden kann. Durch die diagonalen Bewegungsstimuli, die bei der Bewegungsübertragung erfolgen, wird die Koordination beider Körperhälften gefördert, indem rhythmisch abwechselnd die rechte und linke Körperhälfte stimuliert wird. (Vgl. Gäng, 2009, S. 117 f.).

 

Diese Ausführungen zeigen, das beim Therapeutischen Reiten das Reiten im Schritt die Grundlage für therapeutische Intervention bietet, die auf der Körperebene ansetzen. Über das Sitzen auf dem Pferd und durch das Getragen-werden wird der Reiter oder Klient psychisch und physisch angesprochen (vgl. Gäng, 2009, S. 13). Dieses Erlebnis macht es möglich, Signale vom Körper zu empfangen und unterschiedliche Bewegungen zu erleben. Dadurch wird eine neues Wahrnehmungsfeld erschlossen (vgl. Gäng, 2004, S. 52). Der Einsatz unterschiedlicher Pferde fördert eine "differenzierte Wahrnehmung optischer, olfaktorischer, akustischer, taktiler und kinästhetischer Reize", wodurch sich ein positives Körpergefühl entwickeln kann (Olbrich, 2003, S. 178).

 

Durch das Reiten können neue Bewegungsanforderungen angenommen und ausprobiert werden, das körperliche Empfinden wird wach und über das Gesäß können Wirbelsäule und Rundungen des Pferdeleibes erspürt werden, was die Intensität der Wahrnehmungen steigert (vgl. Gäng, 2004, S. 28, 51, 157). Der Reiter muss sich auf den Bewegungsfluss des Pferdes einlassen und mit dem eigenen Bewegungsvermögen auseinandersetzen. Das Pferd liefert eine neue Möglichkeit der Fortbewegung. Durch diese Erfahrung wird ein neues Körpergefühl entwickelt. Der starke körpertherapeutische Anteil in der Arbeit mit dem Pferd fördert die Selbstwahrnehmung und den Zugang zu eigenen heilsamen Energien und Ressourcen. Der Reiter kann sich spielerisch in seinen Körper einfühlen und ihn wahrnehmen. (Vgl. Gäng, 2009, S. 51 ff.).

 

Die Reittherapie wird teilweise als krankengymnastische Behandlungsmaßnahme bei Haltungsschäden, Bewegungsstörungen, Lähmungen, etc. eingesetzt (vgl. Hoffmann, 1999, S. 71), weshalb anzunehmen ist,  dass diese förderliche Wirkung auch gesunden Kindern zu Gute kommt. Der direkte Kontakt mit dem Pferderücken hat positive Effekte auf Körperhaltung, Gleichgewicht, Raumorientierung und Muskulatur (vgl. Vernooij, 2008, S. 202). Durch die Reittehrapie in spielerischer und ungezwungener Form, kann der Klient außerdem an seine körperliche Leistungsgrenze herangeführt werden (vgl. Gäng, 2004, S. 157).

 

Aber nicht nur die dreidimensionale Bewegungsübertragung des Pferdes übt einen positiven Effekt auf die Klienten der Reittherapie aus. Der Umgang mit dem Pferd fördert Gedult und feinmotorische Geschicklichkeit, besonders beim Putzen und Pflegen des Pferdes wird auch die Grobmotorik gefördert. Mit den Händen können Körperteile erkundet und erspürt werden, beispielsweise das Zeichnen von Mustern ins Pferdefell bietet eine weitere taktile Erfahrung. Außerdem können Änderungen der Raumlage erfahren werden. Durch Veränderungen des Sitzes können Grobmotorik und Geschicklichkeit geübt werden und beispielsweise beim verkehrten Reitersitz das Gleichgewicht. Auch Ballspiele, das Genießen des Ponies unter einem Tuch oder das Balancieren über Cavalettis fördern das Gleichgewicht. Die Koordination wird beispielsweise durch kombinierte Arm- und Beinbewegungen und kreuzende Bewegungen besonders geschult. Durch das Ausprobieren verschiedener Stellungen auf dem Pferd, das Reiten über Hindernisse, etc. werden vestibuläre Reize gesetzt. Viele verschiedene Spiele und Übungen am und auf dem Pferd, fördern die Körperhaltung und -spannung, die taktile Wahrnehmung, das Selbstbewusstsein, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Koordination und vieles mehr.

(Vgl. Gäng, 2004, S. 50 ff.; Gäng, 2009, S. 118 ff., S. 167 f.; Vernooij, 2008, S. 202 ff.)

 

Die Reittherapie ist sehr vielseitig ausgestaltbar und wird als ganzheitliche Förderung der Entwicklung angesehen (vgl. Gäng, 2009, S. 229). Es bietet dem Kind sehr viele motivationsreiche Varianten an, seine Körpersinne und die Motorik zu unterstützen (vgl. Gäng, 2009, S. 129 f.).

 

 

Literaturverzeichnis

 

-  Gäng, M. (Hrsg.) (5/2004): Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren.
   München: Reinhart.


-  Gäng, M. (Hrsg.) (3/2009): Reittherapie. München: Reinhart.

 

-  Hoffmann, S. (1999): Das Therapiepferd. Münster: Kretzschmar.

 

-  Olbrich, E. & Otterstedt, C. (Hrsg.) (2003): Menschen brauchen Tiere.
   Grundlagen und Praxis der tiergestützten Pädagogik und Therapie.
   Stuttgart: Franckh-Kosmos.

 

-  Otterstedt, C. (2001): Tiere als therapeutische Begleiter. Gesundheit und
   Lebensfreude durch Tiere - eine praktische Anleitung. Stuttgart:
   Franckh-Kosmos.

 

-  Vernooij, M. & Schneider, S. (2008): Handbuch der Tiergestützten
   Interventionen. Grundlagen, Konzepte, Praxisfelder. Wiebelsheim:
   Quelle & Meyer.